35 Jahre Deutsche Einheit
Schon wenige Tage nach der politischen Wiedervereinigung unseres Vaterlandes kam es am 6. Oktober 1990 im hessischen Weimar-Wolfshausen zur BDRG-Eingliederung der fünf in der ehemaligen DDR gegründeten Rassegeflügel-Landesverbände. Im Zuge eines Festaktes wurde dort feierlich zusammengeführt, wonach sich die Rassegeflügelzüchter im geteilten Deutschland über vier Jahrzehnte lang sehnten, nämlich unter gleichen Voraussetzungen Rassegeflügel zu züchten. Es war ein emotionaler Akt, bei dem sich die Teilnehmer vor Freude und Dankbarkeit des Gelingens sprichwörtlich in den Armen lagen. Die Aufbruchsstimmung motivierte uns allesamt, die Zukunft nun gemeinsam zu gestalten.
Im Schauwesen zeichnete sich alsbald die örtliche Verlagerung der Ausstellungen mit Schwerpunkten in Richtung Sachsen und Thüringen ab. Sind die Schaumetropolen Dortmund, Frankfurt am Main, Hannover und Nürnberg bis heute dennoch nicht verblasst. Im Gegenteil, neben kleineren Standorten waren sie jeweils das Mekka im Westen, wie sich bald Leipzig und Erfurt historisch-traditionell fortsetzend in den Ursprungszentren wunderschöner Farbentaubenrassen jetzt als verlässliche Schauknotenpunkte erweisen. Rekordbeteiligungen bei Europa- und Bundessiegerschauen bis hin an die Basis, sind Hochleistungsbelege für kollektives Wirken – auch international besehen.
Dynamisch forciert fehlte es gesamtdeutsch nicht an Impulsen: Auf die Einführung nationaler Meisterschaften folgten – bis sie in Stiftungen aufgingen zunächst privat initiiert – die Gründung an Rassegeflügel-Motiven orientierte Museen in Nürnberg und Viernau. Entstanden anderen Ortes auch derart ähnlich ausgerichtet kleinere Sammlungen. Der Internationale Taubenzüchtertag wurde an den Karfreitagen für die Züchter-Prominenz zu einem elitären Begriff; wurde bei dieser Gelegenheit im Deutschen Taubenmuseum späterhin so manche dort geborene Idee wie besiegelt in das Organisationssystem eingebracht.
Mit der Initiierung des Bruno Dürigen-Institutes und dem Aufbau des Wissenschaftlichen Geflügelhofes konnte sich unsere Organisation endlich gegen verhängte Ausstellungsverbote von einigen Geflügelrassen zur Wehr setzen. Durch eigene, dort erarbeitete Studienergebnisse gerichtlich angedrohte Zuchtverbote verhindern. Ins Leben gerufene Unterstützungsgruppierungen spiegeln die Bereitschaft der Mitglieder wider, diesem Gemeinschaftswerk die elementare Daseinsberechtigung zu bescheinigen.
Aus der Züchterschaft kommend etablierten sich Malkünstler – ihre Kunsterzeugnisse wurden Kult. Die Besitzer von Holdenried- und Relovsky-Originalen fühlten sich privilegiert. Registrierte Sammler antiquarischer Fachlektüre waren bereit, auf jeden Preis einzugehen, so begehrt waren die bibliophilen Nachlässe aus den Regalen alter Züchter besonders von jenseits der Westgrenze bezogen.
Durch Satzungsergänzungen vereinsmäßig gefördert, führen rassegeflügelspezifisch herausragende Projekte zu persönlichen und kollektiven Auszeichnungen. So wird der Literaturpreis für Buchneuerscheinungen vergeben und werden eben auch besondere Leistungen gewürdigt. Die Erinnerung an Züchterpersönlichkeiten bei den Ausstellungen plakatiert und in den Schaukatalogen dokumentiert ist mittlerweile genauso zur Tradition geworden.
Alle die hier aufgeführten, in den zurückliegenden 35 Jahren kreierten, jetzt zu den Organisationsritualen gehörenden und unser Gemeinschaftssystem stabilisierenden
Strukturelemente, sind das Ergebnis gemeinsamen Schaffens. Haben wir ein Schau-Niveau erreicht, das kaum zu überbieten ist – uns freilich Grenzen setzt. Von Glanz und Gloria in Bann gezogen, der Euphorie des großartigen Schauwesens – rundum der Faszination Rassegeflügel erlegen, mussten wir allerdings auch hinnehmen, wie einige Jahre später eine nach der anderen Fachzeitung vom Medienmarkt verschwand. Ein zunächst leichter, dann zunehmender Mitgliederschwund zu verzeichnen ist. Obendrein die Geisel Vogelgrippe sowohl die Haltung und Zucht von Rassegeflügeltieren drastisch einschränkte, das Ausstellungswesen darunter litt und letztlich eine Pandemie es zeitweise zum Erliegen brachte. Unsere Freizeitbeschäftigung – die Zucht edlen Rassegeflügels – für viele unsere Mitglieder Lebensinhalt sogleich, ist infolge dessen verwundbar, und dadurch perspektivisch zur unsicheren Betätigung geworden.
Aufgrund seines Wohlbefindens definierten wir VDT mit vital – dynamisch – traditionsbewusst. Mittlerweile von den Tendenzen der sogenannten Zeitenwende in Mitleidenschaft gezogen, sieht sich unsere Gesamtorganisation aufgefordert, möglichen Negativeinflüssen zu entgegnen. Mit dem Slogan: Tradition bewahren – Zukunft gewinnen bekennt sich der VDT zur Pflege und des Erhaltens dieses Kulturerbes. Soll dieser an seine Mitglieder gerichtete Appell auch als Mahnung und Auftrag sogleich verstanden werden. Wenn wir am Tenor dieses Leitmotives festhalten, muss uns um die Zukunft dennoch nicht bange sein. Der Umgang mit der Vergangenheit ist ein Beweis dafür.
Günter Stach
